Gamma/FinFisher: Großbritannien rügt deutsch-britschen Software-Hersteller

Vereinigtes Königreich – Überwachung – Gamma/FinFisher

Die deutsch-britische Softwarefirma Gamma International hat mit dem Export von Produkten wie dem Trojaner FinFisher gegen menschenrechtliche Verpflichtungen verstoßen. Das stellte die britische OECD-Kontaktstelle (NKS) im Februar 2015 in einer abschließenden Bewertung fest. Die NKS fordert Gamma – und explizit auch die anderen zum Konzern gehörenden Unternehmen – auf, wirksame Standards zum Schutz der Menschenrechte zu implementieren.

Das ECCHR, das Bahrain Center for Human Rights (BCHR), Bahrainwatch, Privacy International und Reporter ohne Grenzen hatten 2013 bei der NKS in London eine Beschwerde gegen Gamma eingereicht. Gleichzeitig reichten die Organisationen damals bei der deutschen NKS Beschwerde gegen die Softwarefirma Trovicor GmbH aus München ein. Die Organisationen warfen den Unternehmen vor, durch Lieferung der Produkte und den technischen Support mitverantwortlich zu sein für die Festnahme, Verhaftung und Folter von Oppositionellen und Regimekritiker*innen in Bahrain.

Fall

Die Münchener Trovicor GmbH und die britisch-deutsche Gamma International Group produzieren Überwachungssoftware, die von autoritären Staaten zu Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden kann. Die systematische Überwachung von Telekommunikation als Mittel der Unterdrückung friedlicher Protestbewegungen ist seit dem Arabischen Frühling ein allgemein bekanntes Problem. Daten aus abgefangenen Telefon- und Internetverbindungen sind gerade auch in dem arabischen Golfstaat Bahrain seit dem Beginn der Massenproteste im Februar 2011 verwendet worden, um Dissident*innen festzunehmen und ihnen unter Misshandlungen Geständnisse abzupressen.

Erleichtert werden solche Übergriffe durch leistungsfähige Technologien, deren Einsatz allenfalls unter strengster rechtsstaatlicher Kontrolle zu rechtfertigen wäre: Es liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass Trovicor unter anderem in Bahrain Software wartet, mit deren Hilfe Sicherheitsbehörden und Geheimdienste große Mengen an Telefon- und Computerdaten abfangen, aufzeichnen und analysieren können. Zudem gibt es Indizien, dass Trovicors Technologie auf das Zusammenwirken mit sogenannten Trojanern ausgelegt ist, die eine noch umfassendere Überwachung bis hin zur Manipulation von Daten erlauben. Ein solches invasives Programm, Gammas FinFisher, wurde auch auf den Rechnern bahrainischer Oppositioneller gefunden.

Kontext

Die britischen OECD-Prüfer*innen kritisierten, dass Gamma keine menschenrechtsbezogene Due-Diligence-Prüfung durchgeführt und intern keine verbindlichen Standards zur Beachtung von Menschenrechten habe. Zudem habe das Unternehmen nicht genug mit der NKS kooperiert. Trotz erdrückender allgemein zugänglicher Beweise schwieg Gamma zum Verkauf von FinFisher nach Bahrain.

Die NKS, die sich darauf zurückzieht, keine eigenen Ermittlungsbefugnisse zu haben, konnte diesen konkreten Vorwurf nicht bestätigen. Die beim Bundeswirtschaftsministerium angesiedelte deutsche NKS hatte die Beschwerde gegen Trovicor im Dezember 2013 abgelehnt. Sie hielt „eine vertiefte Prüfung nur hinsichtlich des allgemeinen Risikomanagements von Trovicor für möglich“. In den übrigen Punkten sah sie die Vorwürfe nicht ausreichend belegt.

Zitate

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Glossar (1)

Definition

OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen

Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen sind Handlungsempfehlungen für Unternehmen und Regierungen, um verantwortungsvolles und nachhaltiges Unternehmensverhalten zu fördern.

Die Leitsätze beinhalten Vorschläge bezüglich Transparenz, Arbeitsbeziehungen, Umwelt, Korruption, Verbraucherschutz, Technologietransfer, Wettbewerb und Steuern. Mit der Unterzeichnung der Leisätze verpflichtet sich eine Regierung, diese so gut wie möglich umzusetzen. Darüber hinaus muss eine Nationale Kontaktstelle (NKS) eingerichtet werden, die die Umsetzung der Leitsätze koordiniert. Gibt es Beweise für einen Verstoß gegen die Leitsätze, so kann bei der NKS eine Beschwerde vorgebracht werden.

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Einblick

Bahrain

In Bahrain hat es seit der Gründung als unabhängiges Königreich 1971 immer wieder Protestbewegungen gegeben. Die herrschende Elite rund um die Königsfamilie Al-Khalifa reagierte darauf stets mit Repression und Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger*innen, Oppositionelle, unabhängige Medien und religiöse Führer*innen. Nachdem die Berichte über systematische Folter Ende der 90er Jahre zunächst zurückgingen, werden seit 2007 wieder verstärkt Folterfälle aus Bahrain gemeldet.

Als im Frühjahr 2011 tausende Demonstrant*innen wie in anderen arabischen Ländern friedlich Reformen forderten, schlug das Regime den Protest mithilfe von Truppen aus benachbarten Ländern brutal nieder. Bis heute werden Demonstrant*innen, Menschenrechtsaktivist*innen, Studierende, Journalist*innen und Oppositionelle systematisch überwacht, verfolgt, inhaftiert, misshandelt und teilweise auch gefoltert.

Der König von Bahrain hat eine Untersuchungskommission (Bahrain Independent Commission of Inquiry, BICI) eingesetzt, die die gewalttätigen Ausschreitungen gegen Demonstrant*innen im Frühjahr 2011 untersuchen sollte. Diese Kommission legte Ende 2011 einen ausführlichen Bericht über systematische willkürliche Haft, Folter und Verfolgung sowie über die dafür verantwortlichen Regierungsstellen vor. Allerdings war die Kommission nicht befugt, in einzelnen Fällen strafrechtlich zu ermitteln, sondern durfte lediglich Empfehlungen aussprechen. Die nationale Sonderermittlungseinheit, die auf Empfehlung der Untersuchungskommission eingerichtet wurde, hat bisher nur in einigen wenigen Fällen gegen niedrigrangige Beamt*innen ermittelt.

Dem ECCHR liegen begründete Verdachtsmomente und Zeug*innenaussagen vor, dass auch ranghohe Beamt*innen und Mitglieder der Königsfamilie Folter gebilligt haben beziehungsweise daran beteiligt waren. Untersucht wurden diese Foltervorwürfe bisher nicht – weder in Bahrain noch im Ausland.

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