Das Kiobel-Verfahren: ECCHR unterstützt Betroffene von Unternehmensunrecht vor dem US Supreme Court

Nigeria – Folter – Shell

Im April 2013 hat der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten im Kiobel-Verfahren zugunsten des Unternehmens Shell entschieden. Es geht in diesem Verfahren um die Verantwortung des Ölkonzerns für die Beihilfe seiner nigerianischen Tochterfirma zu Verbrechen nigerianischer Sicherheitskräfte. Die Klage basiert auf dem Alien Tort Claims Act (ATCA), einem nationalen Gesetz, welches eine zivilrechtliche Verantwortung für Völkerrechtsverletzungen statuiert.

Im Verfahren sollte geklärt werden, ob der ATCA auch auf Unternehmen anwendbar ist. ECCHR und andere am Verfahren beteiligte Menschenrechtsorganisationen bewerten die Entscheidung als nicht zufriedenstellend, weil die völkerrechtliche Dimension des ATCA nicht bestätigt wurde und weil der Mutterkonzern Shell nicht rechtlich für die Menschenrechtsverletzungen seiner nigerianischen Tochterfirmen verantwortlich gemacht wurde. Trotzdem sind zukünftige Klagen nach dem ATCA sowie eine Fortsetzung anhängiger Verfahren nicht generell ausgeschlossen.

Fall

Beim Kiobel-Verfahren handelt es sich um einen Nachfolgefall der bekannten Klage der Angehörigen des Umweltaktivisten Ken Saro Wiwa gegen Shell wegen der vermeintlichen Beteiligung an der Hinrichtung Wiwas. Im Kiobel-Fall machen die Kläger geltend, dass der Ölkonzern Shell durch seine nigerianische Tochterfirma Shell Petroleum Development Company of Nigeria (SPDC) nigerianische Sicherheitskräfte transportierte, die Sicherheitskräfte auf dem Unternehmensgelände unterbrachte und versorgte und hierdurch Beihilfe zu den von den Sicherheitskräften begangenen Verbrechen wie Folter und extralegalen Hinrichtungen geleistet habe.

Kontext

Das ECCHR hatte 2011 gemeinsam mit Partnerorganisationen zwei Rechtsgutachten zum Prozess eingereicht. Zusammen mit den anderen Unterzeichner*innen des Amicus Curiae Briefs legte es in dem Gutachten dar, dass ein allgemeines, international anerkanntes Rechtsprinzip besteht, nach dem auch Unternehmen wegen Menschenrechtsverletzungen in nationalen Rechtsordnungen haftbar sind.

Die Rechtsgutachten verweisen auf eine Fülle von Gerichtsverfahren und -entscheidungen, in denen Unternehmen wegen der Verletzung von Menschenrechten nach nationalen Gesetzen entweder straf- oder zivilrechtlich haftbar gemacht wurden. Aus diesem allgemeinen Rechtsprinzip leiten die Verfasser*innen ab, dass die Anwendung des ATCA in Gerichtsverfahren gegen Unternehmen im Einklang mit internationalen Gepflogenheiten steht.

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Definition

Alien Tort Claims Act (ATCA)

Der Alien Tort Claims Act (ATCA, dt. Gesetz zu Schadensersatzansprüchen mit Auslandsbezug) ist ein US-amerikanisches Gesetz, das die Zuständigkeit amerikanischer Gerichte bei zivilrechtlicher Verantwortung für internationale Völkerrechtsverletzungen regelt. Darin wird festgelegt, dass auch Menschen nicht US-amerikanischer Nationalität in bestimmten Fällen vor US-amerikanischen Gerichten verhandeln können, solang ihre Ansprüche sich auf US-amerikanisches Zivilrecht stützen. Die gilt auch, wenn sich die zu verhandelnden Ereignisse nicht auf US-amerikanischem Boden zugetragen haben. Der ATCA gilt jedoch nur für Fälle, in denen das Völkerrecht oder ein Staatsvertrag, in dem die USA Vertragspartner sind, verletzt wurden.

Themen (2)

Einblick

Folter

Die Rechtslage ist eindeutig: Folter ist unter allen Umständen verboten. Wer Folter anwendet, anordnet oder billigt, muss sich dafür vor Gericht verantworten. So sieht es die UN-Antifolterkonvention vor. 146 Staaten haben die Konvention ratifiziert.

Wird Folter nicht anerkannt und gesühnt, erfahren die Folterüberlebenden und ihre Angehörigen nicht nur kein Recht, sondern das erlittene Unrecht wird vertieft. Individuelle wie gesellschaftliche Traumata währen fort. Der Kreislauf von Folter, Straflosigkeit und weiterem Unrecht kann ohne (rechtliche) Aufarbeitung nicht gestoppt werden. Deswegen gehören nicht nur niedrigrangige Täter_innen, sondern vor allem ihre Vorgesetzten sowie die politischen und militärischen Entscheidungsträger auf die Anklagebank – und zwar auch jene aus politisch oder wirtschaftlich mächtigen Staaten.

Im Kampf gegen Folter nutzt das ECCHR gemeinsam mit Überlebenden und Partnerorganisationen verschiedene rechtliche Mittel und Wege: Der Gang vor den Internationalen Strafgerichtshof ist wie im Fall der Folter britischer Militärs an Gefangenen im Irak eine Option. Eine andere Möglichkeit, die das ECCHR nutzt, ist die Anwendung des Weltrechtsprinzips (oder Prinzip der Universellen Jurisdiktion) in Drittstaaten wie Deutschland, der Schweiz, Österreich und Schweden – beispielsweise gegen Verantwortliche des US-Folterprogramms im Namen des "Kriegs gegen den Terror", gegen den bahrainischen Generalstaatsanwalt oder bei den Strafanzeigen gegen hochrangige Mitglieder der syrischen Militärgeheimdienste.

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