Strafverfahren gegen spanischen Richter Garzón

Spanien – Franco-Diktatur – Baltasar Garzón

Der spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzón wurde Anfang 2012 von der spanischen Justiz angeklagt, da er im Oktober 2008 die Zuständigkeit seines Gerichts für Vorermittlungen zu erzwungenem Verschwindenlassen, Folter und Erschießungen von 114.266 Personen während des Spanischen Bürgerkrieges und der Diktatur Francos für den Zeitraum 1936 bis 1951 festgestellt hatte.

Ihm wurde vorgeworfen, damit seine richterlichen Kompetenzen überschritten zu haben. Garzón hatte sich in seiner Entscheidung auf internationales Recht berufen, das erzwungene Verschwindenlassen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit qualifiziert und im Einklang mit internationalem Recht das nationale Amnestiegesetz für nicht anwendbar erachtet.

Fall

Baltasar Garzón ist international als eine Führungsfigur im Kampf gegen Straflosigkeit bei schweren Menschenrechtsverletzungen, unter anderem gegen den früheren chilenischen Diktator Augusto Pinochet, und für seine Bemühungen, die universelle Jurisdiktion zu stärken, bekannt. Im Februar 2012 wurde Garzón von den Vorwürfen freigesprochen. Es bleibt allerdings fraglich, ob die Rechte der Opfer berücksichtigt und unabhängige Ermittlungen und Strafverfolgungen der Massenverbrechen eingeleitet werden.

Im Mai 2010 hat das ECCHR gemeinsam mit neun anderen internationalen Juristen- und Menschenrechtsorganisationen eine Petition bei den UN eingereicht. Darin kritisieren die Organisationen, wie die spanische Justiz gegen Richter Baltasar Garzón vorgeht und fordern die UN-Sonderberichterstatter*innen für richterliche Unabhängigkeit, Folter, außergerichtliche Tötungen und den Schutz von Menschenrechten dazu auf, sich in dieser wichtigen Angelegenheit bei den spanischen Behörden für den Schutz des fundamentalen Prinzips der richterlichen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit einzusetzen, was letztendlich auch geschah.

Kontext

Das ECCHR, als Teil einer internationalen NGO-Koalition, fordert von Spanien, sein Amnestiegesetz von 1977 zurückzunehmen, da es internationales Recht verletze. Die Koalition rief darüber hinaus die spanischen Behörden dazu auf, internationalen Rechtsverpflichtungen nachzukommen und effektive Maßnahmen in der rechtlichen Aufarbeitung der Fälle erzwungenen Verschwindenlassens, extralegaler Tötungen und anderer internationaler Verbrechen einzuleiten. In Übereinstimmung mit völkerrechtlichen Bestimmungen muss Spanien handeln, um Wahrheit und Gerechtigkeit für die Opfer des Spanischen Bürgerkrieges und der Diktatur Francos zu gewährleisten.

Dokumente (4)

Glossar (3)

Definition

UN-Sonderberichterstatter*in

UN-Sonderberichterstatter*innen (special rapporteurs) werden durch ein Mandat der Vereinten Nationen bestimmt und arbeiten ehrenamtlich zu einem Bereich. Die Expertise von Sonderberichterstatter*innen bezieht sich auf ein bestimmtes Thema (z. B. Recht auf Wasser, Folter, Meinungsfreiheit) oder auf eine geographische Region (z. B. Irak, Syrien, Myanmar).

Themen (4)

Einblick

Doppelstandards

In Fragen der Menschenrechte messen Entscheidungsträger*innen der westlichen Demokratien allzu oft mit „zweierlei Maß“. Während der Globale Norden oft Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Ländern des Globalen Südens öffentlich verurteilt und – teilweise – auch strafrechtlich verfolgt, entziehen sich Politiker*innen und Militärs, Unternehmer*innen und Manager*innen im Globalen Norden meistens der Verantwortung. Völkerstraftaten wie Folter, Verschwindenlassen oder Drohnenangriffe gegen Zivilist*innen werden selten geahndet. Es scheint, als würden andere Standards für die Verletzung von Menschenrechten gelten, wenn sie von westlichen Staaten begangen werden.

Diesen Doppelstandards des Globalen Nordens setzt das ECCHR gezielte juristische Interventionen entgegen: Die Straflosigkeit der Mächtigen muss beendet und  Machtstrukturen verändert werden. Die Einzelfälle des ECCHR zielen deswegen auch immer darauf ab, politische, wirtschaftliche und rechtliche Lücken sichtbar zu machen und so die Entscheidungsträger*innen im Globalen Norden zu zwingen, ihre Doppelstandards zu hinterfragen – und im besten Fall zu beenden.

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